Titelthema

Stark gegen Stress: Mit Resilienz
durch harte Zeiten

Lesedauer: 7 min

Was hilft dir, wenn die Prüfungen vor der Tür stehen, Liebeskummer dich quält und ein Lockdown jeden Spaß verdirbt? Die Antwort heißt: Resilienz! Viele nennen sie das Immunsystem der Seele. Das Schöne: Resilienz kannst du trainieren.


Gelassen wie Buddha?
Gelassen wie Buddha?
Nur wenige Menschen sind das von Natur aus. Alle anderen können es mit Geduld und Übungen werden.
© Yann Ubbelohde
© Yann Ubbelohde
Gelassen wie Buddha?
Nur wenige Menschen sind das von Natur aus. Alle anderen können es mit Geduld und Übungen werden.
Gelassen wie Buddha?

Der Begriff Resilienz steht für: zurückspringen, abprallen. Von jemandem, der resilient ist, prallt förmlich alles Negative ab. Echte Stehaufmännchen, Leute also mit Nehmerqualitäten, die, die nichts kleinkriegt oder umwirft – sie sind resilient.

„Also ich schon mal nicht“, sagt Lily Müller* (19) aus Karlsruhe. Nach Monaten mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Geschwistern im Lockdown, einem unterdurchschnittlichen Abi und der erfolglosen Suche nach einem Ausbildungsplatz als Industriekauffrau fühlt sie sich „genervt und unmotiviert. Ich hab‘ keinen Bock mehr zu gar nichts!“ Das kann Can Yildirim* (17) aus Stuttgart bestens verstehen. Seit Beginn der Pandemie kommt es für ihn knüppeldick: Erst haben seine Eltern sich getrennt. Daraufhin begann Can, öfter mal im Unterricht zu weinen, futterte sich Frustspeck an und wurde infolgedessen gemobbt. Momentan ist er krankgeschrieben. „Manager sind resilient, Superstars sind resilient, ich bin es nicht und werde es nie werden“, meint Can.

„Das kann man so nicht sagen“, findet Wolfgang Roth, Diplompsychologe aus Fürth und gefragter Resilienzexperte für Fach und Führungskräfte. „Denn Resilienz bedeutet nicht, dass ein Mensch nie scheitern, nie traurig und am Ende sein darf. Es bedeutet vielmehr, dass du nach jedem Zusammenbruch einen Weg findest, weiterzumachen.“

Schon seit mehr als 25 Jahren beschäftigt sich der Diplompsychologe mit Resilienz. Er fände sinnvoll, dass ein Schulfach die Grundlagen der Resilienz vermittelt – schließlich kann man sie trainieren wie Muskeln und stärken wie das Immunsystem. Doch der Resilienzunterricht lässt weiter auf sich warten. Wolfgang Roth hat derweil ein Institut für Resilienz gegründet, in dem er Einzelpersonen und ganze Teams coacht, sowie ein Buch geschrieben.

Die Theorie: Alles begann auf Kauai

Die Resilienzforschung, wie wir sie heute kennen, wurde bereits vor fast 70 Jahren begründet. 1955 begannen die amerikanischen Psychologinnen Emmy Werner und Ruth Smith auf der hawaiianischen Insel Kauai die Lebenswege von 698 Babys zu begleiten. Alle wuchsen – aus unserer Sicht – in Armut auf, doch 210 Kinder hatten es besonders schwer. Ihre Eltern vernachlässigten oder verprügelten sie. Die Forscherinnen gingen deshalb davon aus, dass diese Kinder es im Leben schwer haben würden, es zu etwas zu bringen.

Und tatsächlich: Zwei Drittel dieser Mädchen und Jungen wurden verhaltensauffällig, bevor sie ihren 18. Geburtstag feierten. Doch überraschenderweise entwickelten sich 72 Jugendliche – also mehr als ein Drittel – bestens. Sie wirkten zufrieden, schrieben gute Noten, lernten Berufe und führten stabile Beziehungen. Damit nicht genug: Einige derer, die in der Jugend im Chaos lebten, kriegten als Erwachsene die Kurve.

Emmy Werner und Ruth Smith – und alle, die ihre Arbeit verfolgten – zogen mehrere Lehren aus dieser Längsschnittstudie. Wohl die wichtigste: Kinder aus den schlechtesten Verhältnissen können dennoch stabil und glücklich werden. Dazu trägt oft eine liebevolle Bezugsperson bei, und sei es die Tante, ein Lehrer oder eine Nachbarin. Doch wer in Kindheit und Jugend nicht so viel Glück hatte, hat noch lange nicht verloren. Die Resilienz lässt sich das ganze Leben hindurch verbessern.

Wie ein Auto mit einem Platten

Wenn du dich überhaupt nicht resilient fühlst, kannst du also jederzeit etwas dagegen tun. Kurzfristig, empfiehlt Wolfgang Roth, hilft Zeit mit einem Menschen, der „einfach nur da“ ist. Der nichts fordert und keine Ratschläge gibt, sondern der zuhört. Außerdem ist es eine gute Idee, möglichst nett zu dir selbst zu sein. „Wenn du Selbstfürsorge entwickelst, weißt du irgendwann, was du machen kannst, wenn gar nichts gelingt und du nicht weißt, wohin“, sagt Roth. Er ergänzt: „Tu dir Gutes in diesen Momenten. Baue dich auf, erlebe etwas, was dir Kraft spendet.“

Teste dich!

Wie resilient bist du?

Beantworte die folgenden Aussagen auf einer Skala von 5 (trifft völlig zu) bis 1 (trifft überhaupt nicht zu):

1. Wenn ich etwas vorhabe, mache ich es auch.

2. Ich lasse mich nicht so schnell aus der Bahn werfen.

3. Ich mag mich so, wie ich bin.

4. Ich bin an vielen Dingen interessiert.

5. Ich habe bisher noch in jeder blöden Situation die Kurve gekriegt.

5 bis 11 Punkte: Dein seelisches Immunsystem ist momentan nicht sehr stabil. Überlege dir in Ruhe, was sich ändern müsste, damit du anders antworten könntest. Probiere auch die Tipps von der nächsten Seite aus und mach den Test in einigen Wochen noch einmal.

12 bis 17 Punkte: Deine Widerstandskraft ist ganz gut ausgeprägt. Für noch mehr Krisenfestigkeit kannst du die Übungen auf der nächsten Seite ausprobieren.

18 bis 25 Punkte: Gratulation, du bist das reinste Stehaufmännchen! Mach weiter, was dir guttut.

Adaptiert vom Selbsttest des Mitteldeutschen Rundfunks, den du in voller Länge hier findest. 

Das ist für jeden Menschen etwas anderes. Manchen gibt ein gutes Buch oder ein lustiger Film viel, andere gehen joggen, für einige ist auch ein neues Hobby zielführend – eine Fremdsprache lernen, Kunst schaffen oder exotisches kochen, zum Beispiel. Außerdem wichtig zu wissen: Der Weg zu mehr Resilienz ist kein Beschleunigungsstreifen, sondern eher eine gewundene Bergstraße. Es braucht Geduld, um anzukommen.

Zum Bild der Straße passt das Modell, das Wolfgang Roth nutzt, um das Konzept der Resilienz verständlicher zu machen: ein Auto. Jeder Mensch gleicht einem Auto – und jedes der vier Räder repräsentiert einen Bereich, der ihn resilient macht (oder auch nicht). Ein Rad ist der menschliche Körper, eines die Psyche, ein drittes sind soziale Beziehungen. Rad vier steht für die Spiritualität, also das Bewusstsein, dass es etwas Höheres beziehungsweise einen Sinn des Lebens gibt. „Wir sind biopsychosoziale und spirituelle Wesen“, erklärt Roth. Ist in allen vier Rädern genug Luft drin, bewegt sich der Mensch stabil. Ist eines platt oder eiert, wird es schwierig.

Roth nennt ein Beispiel: „Dein Körper reagiert auf Gedanken und Gefühle. Wenn du denkst und fühlst, dass du zu dick, zu groß, zu langweilig oder zu hyperaktiv bist, dann reagiert der Körper darauf. Du spürst Angst, Scham und Traurigkeit. Dein Herz schlägt schneller, die Kehle schnürt sich zu, der Magen krampft.“ Kommt dann noch Kritik von anderen, erscheint dir schnell alles sinnlos. Doch genau, wie du einen platten Reifen flicken und neu mit Luft befüllen kannst, so lässt sich auch die Resilienz in allen vier Bereichen reparieren.

Dem Körper helfen zum Beispiel Atemübungen, Entspannungstechniken oder Sport. Die Psyche profitiert von Meditation oder Ritualen wie einem Dankbarkeitstagebuch, in dem du täglich alles festhältst, was gut läuft. Warum andere an dir herumnörgeln oder welcher Sinn langfristig hinter einer schwierigen Situation steckt, erschließt sich oft nicht so schnell. Gib dir Zeit, es herauszufinden. Mit Büchern, Podcasts oder Kursen zum Thema Resilienz kannst du dir die Zeit bis zu den Antworten sinnvoll verkürzen.

Podcasts und Bücher

Resilienz zum Reinhören und Lesen

Podcasts

7Mind: Wie gehst du mit den Krisen des Lebens um? Resilienz-Interview mit Psychologe und Journalist René Träder in zwei Teilen.

Resilienz: Leading with Impact – Die Wiener Wirtschaftspsychologin Dr. Laura Stoiber beantwortet die Fragen von Tina Deutsch.

Bücher

Resilienz von Christina Berndt: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out. (dtv 2015, 9,90 €)

Die resiliente Führungskraft von Wolfgang Roth: Sich selbst und andere gesund führen (Fit for Future). (SpringerGabler 2021, 19,99 €) 

Sieben Säulen, die stark machen

Wer sich mit dem Thema Resilienz beschäftigt, dem begegnet das Sieben-Säulen-Modell immer wieder. Unterschiedliche Autor:innen nennen unterschiedliche Säulen, doch die folgenden sieben werden besonders häufig erwähnt:

1. Optimismus im Sinne von „Es wird besser!“

2. Akzeptanz: Erst annehmen, was nicht passt, dann Wege finden, es zu verbessern.

3. Lösungsorientierung: Wer die Dinge angeht, statt sich wegzuducken, kann manches Problem lösen.

4. Die Opferrolle verlassen: Eigene Stärken ins Auge fassen und handeln.

5. Verantwortung übernehmen: Pläne scheitern. Wer Verantwortung dafür übernimmt, kann mit gehobenen Hauptes weitergehen.

6. Netzwerkorientierung: Wer Beziehungen zu anderen pflegt, kann Erfolge wie Sorgen teilen.

7. Zukunftsplanung: Mit einer realistischen Einschätzung der Möglichkeiten und Notfallplänen steigt die Chance, dass die Wünsche wahr werden.

Frag dich zum Ziel!

Der Diplompsychologe Wolfgang Roth findet, dass diese sieben Säulen das Fühlen und die Umgebung zu wenig abbilden. Er spricht lieber von vier wesentlichen Resilienzfaktoren, die er die „vier großen S“ nennt: Selbstvertrauen, soziale Unterstützung, Sinn und Selbstmitgefühl. Auch sie lassen sich trainieren. „In kritischen Lebensphasen oder Veränderungen in unserem Leben können wir uns immer wieder auf diese vier Kraftspender besinnen“, sagt Roth. Dabei helfen Fragen wie: Wie sieht es aktuell mit meinem Selbstvertrauen aus? Was kann ich tun, um es zu stärken? Wo ist soziale Unterstützung, die ich mir ins Leben holen kann? Familie, Freunde oder auch professionelle Begleitung? Macht das alles gerade Sinn für mich? Wie könnte ich es sinnvoll(er) für mich gestalten? Wie fühle ich mich gerade? Fühle ich mich überhaupt? Welche Gefühle will ich nicht spüren?

David Kennedy* (19) aus Nürnberg hat auf die letzte Frage schnell eine Antwort parat: Prüfungsangst. Denn durch seine praktische Führerscheinprüfung ist er vor lauter Aufregung gleich zweimal gefallen. Ihm wird schlecht, wenn er nur an die nahende Wiederholung denkt. Wie kann es beim dritten Mal klappen? Wolfgang Roth empfiehlt David, in Ruhe über seine sogenannten Glaubenssätze nachzudenken, die sein Denken und Handeln prägen. Glaubenssätze sind Überzeugungen, die jeder Mensch aufgrund von Kindheitserfahrungen verinnerlicht hat, die gut, aber auch häufig negativ sind. David hat von Lehrer:innen und Mitschüler:innen so oft gehört, er sei doof und könne nichts, dass er inzwischen selbst daran glaubt.

Schreib deine Glaubenssätze neu!

Tatsächlich sind Glaubenssätze à la „Ich bin dumm“, „Ich kann das nicht“ oder „Ich bin nicht stark genug“ weit verbreitet. Bei manchen schlagen sie Wurzeln und werden groß und mächtig. Und das ganz unabhängig davon, ob die, die das zuerst aussprachen, das Gesagte wirklich ernst meinten. Doch das Gute daran: Sobald du weißt, dass ein solcher Glaubenssatz in dir wirkt, verliert er seine Macht. Dann kannst du zum Stift greifen und ihn positiv umformulieren.

„Der Glaubenssatz ,Ich kann das‘ wäre in Prüfungen sehr hilfreich“, nennt Wolfgang Roth ein Beispiel. „Doch der Glaubenssatz alleine reicht nicht aus. Wir müssen auch das dazu passende Gefühl haben. Und hier ist nicht selten die Angst im Weg.“ Angst, die lähmt. Wolfgang Roth rät allen, denen es geht wie David: „Versucht nicht, die Angst zu verdrängen. Sondern nehmt sie an der Hand und spürt sie.“ Das mag sich unmännlich anhören, tut aber vielen überraschend gut. Der Diplompsychologe Wolfgang Roth gibt zu bedenken: „Wir haben leider immer noch eine Vorstellung von Männlichkeit, die Angst als etwas Schwaches ansieht. Dabei ist gerade das Anerkennen und Zum-Ausdruck-Bringen von Schwäche wahre Stärke!“

David hat es vor der nächsten Führerscheinprüfung ausprobiert, dazu Atemübungen gemacht und Schokolade gegessen. Ob eines davon wirkte oder alle zusammen: Jetzt sitzt er stolz am Steuer. Lily hat das Internet so lange nach Online-Trainings durchforstet, bis sie Übungen fand, bei denen sie sich mit Spaß auspowern kann. Sie lernte zudem, frisch und gesund zu kochen. So kehrte die Energie zurück und sie studiert inzwischen Ernährungswissenschaften. Und Can?

Er hat eingesehen, dass er momentan zu viele Baustellen hat, um alleine damit klarzukommen. Sein Hausarzt verschrieb ihm eine Psychotherapie. Er hofft, gemeinsam mit seinem Therapeuten die Schlüssel dafür zu finden, sein Leben wieder zu mögen. Er weiß jetzt: Resilienz heißt nicht, nie zu fallen, sondern vielmehr, immer wieder aufzustehen.

* Anm. d. Red.: Namen geändert

Damit klappt das

5 Übungen für mehr Resilienz

1. Gute Glaubenssätze formulieren
Hinterfrage die Gedanken, die dir öfter durch den Kopf schwirren. Viele Menschen kennen Glaubenssätze wie: „Ich muss perfekt sein“ oder „Ich bin nicht gut genug“. Schreib dir die nieder, die dich quälen. Ersetze sie durch positivere neue, wie „Ich darf Fehler machen“ oder „Ich schaffe alles, was wichtig ist.“

2. Nimm deine Angst an die Hand
Ob Prüfungsangst, Panik vor dem ersten Studientag oder Vorstellungsgespräch: Stell dir deine Angst als Person vor, die dir nichts Böses will. Statt sie zu verdrängen, nimm sie an der Hand. Gemeinsam seid ihr unerschütterlich! Und denk dran: Das Anerkennen und Zum-Ausdruck-Bringen von Schwäche ist wahre Stärke.

3. In dunklen Zeiten – freu dich auf helle
Liebeskummer und Traurigkeit gehören ganz natürlich dazu. Es gibt keinen durchgängigen Sonnenschein. Das Leben ist Aufstieg und Abstieg, Yin und Yang, Licht und Schatten. Könnten wir die Traurigkeit und den Kummer nicht spüren, würden wir auch keine Freude empfinden. Tanke auf bei lieben Menschen, die dich unterstützen und übe dich in Selbstfürsorge.

4. Trainiere deine Selbstfürsorge
Tu dir Gutes, gerade, wenn du dich nicht gut fühlst. Erlebe etwas, was dir Kraft spendet. Das kann eine Tasse Tee sein, ein lustiges Video, Sport, ein kreatives Hobby, Musik oder auch mal ein heißes Bad.

5. Bitte um Hilfe
Wenn dir alles zu viel wird, überlege, wen du um Unterstützung bitten kannst. Familie, Freundeskreis, Lehrer:in? Wenn das nicht genügt, alles schwer bis hoffnungslos erscheint, denk über eine Psychotherapie nach. Sprich deinen Hausarzt oder deine Hausärztin darauf an!